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1808 - Die schönste Mörderin von Wien

in Greeleys Ripperstreet 06.09.2020 01:06
von A. C. Greeley • 186 Beiträge | 915 Punkte

Die schönste Mörderin von Wien ...

Es war eine stürmische Winternacht im Jahre 1808, als Passanten in der Piaristengasse mitten im Schnee einen bis aufs Hemd ausgezogenen Mann fanden.
Zuerst dachten sie, es sei ein Zecher, immerhin befand man sich im Krieg. (Damals stand man vor dem fünften Koalitionskrieg oder auch der Österreichisch-französische Krieg genannt, von 1809. Zu der Zeit war Österreich bereits ein unruhiges, von mehreren Kriegen gezeichnetes Land). Da gab es schon den einen oder anderen Betrunkenen, doch zu ihrem Entsetzen stellten sie fest, dass der Körper sehr steif und kalt war. Der mit Blut beschmierte Kopf gab ihnen die Gewissheit, dass es sich hier wohl um ein Verbrechen handelte.
Sie rannten los, suchten einen Wachsoldaten, oder einen der Polizeidiener (so nannte man Sicherheitsmänner, die für Ordnung sorgten, oder es zumindest versuchten)
Früh am Morgen wurde der Magistratsdiener am ‚Hohen Markte‘ aus dem Schlaf gerüttelt. Als er sich schlaftrunken darum bemühte, die Türe zu öffnen, stand eine polizeiliche Estafette der K. K Polizeibezirksdirektion vor ihm und übergaben ihm ein wichtiges Dienststück: Ein Mord war geschehen!
Die Meldung lautete wie folgt: »… daß in der Piaristengasse an der Mauer beym Tempel eine Mannsperson erschlagen und der Kleydung beraubt worden seye …«
Er nahm die Meldung entgegen und übergab sie dem diensthabenden Beamten Albrecht.

Herr Albrecht erstattete dem Magistratspräsidium Bericht und erhielt den Auftrag, sich gemeinsam mit dem städtischen Gerichtskommissär Seißer unverzüglich »an diessen Ort zu begeben um den Tathbestand zu erheben und denen Thätern auf die Spur zu kommen«.
Als die beiden genannten Magistrastpersonen jedoch in die Piaristengasse ankamen, war der Leichnam fort.
Gemütlich, wie man halt damals in Wien so war, hatte jemand den Körper schon weggeschafft.
Es war eine mühevolle Aufgabe, herauszufinden, dass der Tote zum Grundgericht nach Matzleinsdorf getragen worden sei. Zu der Zeit war das eine ganze Reise.
Dessen ungeachtet machten sich die Beiden auf den Weg und gelangten endlich zu dem ‚zu beschauenden‘ Körper. Ein Polizeidiener berichtete ihnen, dass der Tote bereits ‚agnostiziert‘ sei. Eine wahre Erleichterung für die beiden Herren.
Der Name des Toten: Matthias Kandl vom Hungelgrund Nr. 9 zum Salzküffel.
Die bedauernswerte Gattin habe ihn, ebenso wie andere Zeugen, mit vollkommener Sicherheit erkannt und sei über das Geschehene untröstlich.

Es lag wohl ein Straßenraub vor, denn Matthias Kandl sei eine Zeitlang vorher noch Schmalz einkaufen gegangen und habe 150 Gulden in ‚Bankozetteln, sowie eine Uhr und gute Kleidungsstücke mitgenommen.

Derartige Überfälle waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Wien nicht unüblich.
Die Stadt hatte damals infolge der vielen Kriege von diversen Truppen ihren sicheren Kern verloren. Über diese politischen Sorgen vergaß man auf die Bedürfnisse des kleinen Mannes, zu denen eigentlich auch der Schutz der Person und des Eigentums gehörte.
Natürlich rief man einen ‚Wundarzt‘ der am Körper nicht weniger als zehn ‚teils tödliche, teils mindere Wunden‘ feststellte.
Die Polizei fahndete bei Wirten und Herbergen in der Umgebung nach dem Täter.

Auf dem ‚hohen Markte‘ verhörte man inzwischen die ‚Greißlerin Theresia Kandl vom Hungelgrund‘.
Sie schilderte ihren Schmerz ob des Verlustes. Alle waren voll Mitleid mit der armen Frau. Die Polizei nannte sie sogar ein braves, friedfertiges Weib und erzählte, sie habe mit ihrem Gatten in bestem Einvernehmen gelebt.

Ein Bäckermeister in Heiligenstadt (Joseph Werner) erfuhr natürlich von dem Mord, und hatte nichts Eiligeres zu tun, als sich sofort in die Stadt zu begeben.
Er ließ sich zum Referenten Seißer führen und fragte ihn in Anwesenheit der jungen, schönen Witwe, ob man den Mörder schon habe.
Dies wurde mit großem Bedauern verneint. Nach dieser Antwort verlangte der Bäckermeister mit dem Kommissär unter vier Augen zu sprechen.
Als die Witwe den Raum verlassen hatte, erklärte Joseph Werner dem Richter, dass, wenn er noch nicht wisse wer den Kandl umgebracht hat, er es ihm sage:
»Niemand anderer als die Kandlin selbst, die hier ein so heiliges Gesicht macht.«
Betroffen fuhr Kommissär Seißer hoch und machte dem Bäckermeister Vorwürfe, einen derart schrecklichen Verdacht ausgesprochen zu haben.
Dieser ließ sich jedoch nicht einschüchtern.
»Ich weiß wovon ich spreche! Die Kandlin ist eine schlechte Person, sie hatte seit 1807 schon mit einem Fleischersohne ein Verhältnis, von dem der Mann nichts wusste. Ich bin überzeugt davon, dass sie sich den noch immer hält. Mein Verdacht wird am meisten davon bestärkt, nachdem ich im Gang gehört hab, dass sie die Tabakspfeifen ihres Mannes gleich nach der Ermordung ihrem Bruder geschenkt hat. Sowas tut keine Person, der wirklich schwer ums Herz ist.«
Herr Seißer war diese Aussage nicht genug, doch der Bäckermeister ließ nicht locker.
»Ich sage nur, und das aus vollster Überzeugung: Die Kandlin ist eine bedenkliche Person.«

Danach nahm die Sache ihren unheilvollen Lauf:

Der Gerichtskommissär verhörte die Greißlerin noch mal, und auf die Beschuldigungen hin, wurde die zuvor tugendhafte, sanfte Person Theresia Kandl zur Furie.
Ihre Augen wurden hart, die Stimme laut. Sie bestritt alles, doch konnte nicht überzeugen. Nachdem sie besonders frech wurde, ließ Kommissär Seißer sie verhaften.
Er veranlasste das, was heute Gang und gebe ist: Er sorgte für eine Hausdurchsuchung und musste nicht lange auf Ergebnisse warten.
Der erste Blick galt dem Bett des Ermordeten. Da musste man nicht lange nach Beweismitteln suchen, denn auf der Wand zeigten sich deutlich Blutspritzer, die jemand versucht hatte, zu entfernen.
Dann fand man die feine Kleidung, die er angeblich getragen hatte und damit gab es keine Zweifel mehr daran, dass er in seinem Bett gestorben war.
Der Täter hatte die Leiche fortgeschafft und sie in dem entlegenen Teil in der Piaristengasse abgelegt.
Nach dieser Entdeckung ließen sie die ‚Kandlin‘ erneut vorführen und teilten ihr die Schuldbeweise mit.
Zuerst war die Frau sprachlos, doch sie fing sich rasch wieder und leugnete erneut, etwas mit dem Mord zu tun zu haben.
Der Kommissär unterbrach sie, denn für ihn war die Sache klar:

Theresia Kandl, geborene Teppich 23 Jahre alt aus Atzgersdorf bei Wien hatte als junges Mädchen ein uneheliches Kind zur Welt gebracht, welches nach 13 Tagen verstorben war. Vater unbekannt.

In die Enge getrieben gestand sie kurz darauf, dass Michael Pellmann ihr Liebhaber sei. Sie meinte, er wäre es auch gewesen, der ihren Mann mit ihrem Wissen umgebracht hatte. Die Inquisitin gab an, dass sie nicht wisse, wo sich Pellmann zur Zeit aufhielt, denn er diente beim Militär irgendwo in einer Wr. Kaserne.

Sie suchten und fanden ihn. Er war bereits vom Militär zu seinen Eltern entlassen.
Zunächst ahnte der Mann nicht, dass er der Täterschaft beschuldet wurde, sondern hörte zum ersten Mal vom Mord an Kandl.
Man hielt ihm vor, dass Theresia ihn des Mordes bezichtigte. Wütend gab er an, mit ihr zwar sträflichen Umgang gepflegt zu haben, doch ein Mörder wäre er nicht.
Sein Leugnen hätte nichts genutzt, hätte er nicht ein unanfechtbares Alibi nachgewiesen. Er hatte seinen Heimatort in Mauer länger nicht verlassen, also mussten sie ihn freisprechen.
Die Kommission kehrte zurück nach Wien und teilte der Mörderin das Ergebnis mit, dennoch blieb sie bei ihrer Geschichte.
Innerhalb der nächsten Tage gestand sie, durch die Verhöre erschöpft, die alleinige Tat.
Sie berichtete unter Tränen, dass ihre Ehe unglücklich gewesen wäre.
Zuerst war alles gut gewesen, doch später hatte er sie roh behandelt und so entwickelte sich der Hass gegen den Gatten. Sie fasste den Entschluss, ihn zu ermorden.
Er hatte sie wiederholt mit Schlägen bedroht, also wartete sie ab, bis er müde und schläfrig vom Einkaufe nachhause kam und sich zu Bett legte. Sie schlich an sein Bett und erschlug ihn mit einer Hacke. Danach musste sie den Leichnam fortschaffen, und überlegte, wie sie das bewerkstelligen konnte.
Sie kam auf die Idee ihren Mann in einer Butte zu verstecken und ihn wegzuschleppen. Das erforderte viel Überwindung, doch sie tat es.
Kreuz und quer irrte sie mit der Butte durch die Gegend, immer nur mit dem Gedanken, den Toten loszuwerden.
Ein Polizeidiener, dem sie unterwegs begegnete, merkte ihre Erschöpfung und bot Hilfe beim Schleppen an. Aus Angst, er würde sehen, was sie in dieser Obstbutte transportierte, lehnte sie ab und eilte weiter.

In der Piaristengasse angekommen, konnte sie nicht mehr, stülpte die Butte mit dem Leichnam rasch um und rannte mit dem leeren Gefäß gegen Matzleinsdorf zurück. Schweißgebadet kam sie zuhause an. Nun erst war sie Witwe geworden ...

Zuerst waren die Behörden skeptisch und dachten, eine solch schöne, zierliche Frau wäre nicht dazu in der Lage eine derartige Last zu schleppen, also wurde sie von den Behörden durch einen Trick dazu gebracht, einen Korb mit Ziegelsteinen zu tragen - das gelang ihr. Damit war alles klar.

Die Untersuchung dauerte bis Mitte Februar 1809.
Dann fällte man das Urteil: Theresia Kandl soll wegen Meuchelmordes nach Vorschrift des § 119 des Gesetzes über Verbrechen mit dem Tode bestraft, und diese Strafe gemäß des § 10 ebendaselbst an ihr mit dem Strange vollzogen werden.‘
Dieses Urteil mußte dem Appellationsgerichte vorgelegt werden, welches die Bestätigung am 3. März 1809 erteilte (also quasi die Rechtskräftigkeit).

Am 13. März selben Jahres wurde der Mörderin das Todesurteil deutlich vorgehalten und öffentlich kund gemacht. Das bedeutete, sie würde zuerst an den Pranger gestellt werden.
Dort musste sich Theresia Kandl unzählige Flüche und Spottreden anhören.
Die Menschenmenge war unabsehbar und gnadenlos.

Nach der Ausstellung auf dem Pranger wurden alle zum Tode Verurteilten, also auch Theresia Kandl, in die Arme-Sünderzelle gebracht, wo sie drei und oft mehr Tage in Gemeinschaft eines Geistlichen ausharren mussten.

Die Hinrichtung wurde für den 16. März angesetzt. Da man mit dem Zusammenströmen großer Menschenmassen rechnete, wurden nicht weniger als 332 Mann Kavallerie und 32 Mann Infanterie zur Aufrechterhaltung der Ordnung aufgeboten.
Um 8 Uhr früh fuhr der 'Malefiz-Wagen' auf dem Hohen Markt vor, den die schöne Verurteilte schreckensbleich bestieg, um die lange Leidensfahrt zur Justifizierungsstätte, der ‚Spinnerin am Kreuz‘, anzutreten. Um 10 Uhr kamen sie dort an.
Die kaiserlichen Polizeikommissäre Hofbauer und Fröhlich sorgten für die Sicherheit des ‚Freymannes‘. Bald hatte Theresia Kandl es überstanden.
Um 6 Uhr abends wurde der Leichnam abgenommen und vorschriftsmäßig auf der für Selbstmörder bestimmten Stelle sang- und klanglos verscharrt.
Später wurde ihr Körper klammheimlich ausgegraben und an einem Arzt verkauft. Von diesem vererbte sich das Skelett bis auf den heutigen Tag weiter.

Theresia Kandl war die erste Frau, die in Wien in der Nähe der Spinnerin am Kreuz durch Hängen hingerichtet wurde, gleichzeitig war sie auch die letzte Frau, die dort hingerichtet wurde.

Recherchequelle: Edmund Otto Ehrenfreund (Name vor 1920) danach Ubald Edmund Otto Tartaruga, Österreichischer Polizeijurist, Polizeischriftsteller und Parapsychologe.Geboren am 12. Februar 1875 in Wien, gestorben am 21. November 1941 im KZ Dachau.


zuletzt bearbeitet 06.09.2020 11:20 | nach oben springen

#2

RE: 1808 - Die schönste Mörderin von Wien

in Greeleys Ripperstreet 06.09.2020 12:33
von Evelucas • 552 Beiträge | 2274 Punkte

Heftige Gschicht und irsinnig spannend, wie solch Ermittlungen und Strafverfahren damals so abgelaufen sind. Berufspositionen, die es heute teils gar nimmer gibt. Hinrichtungen, an solchen man erkennt, das es nicht ewig her ist, da pflegten auch wir in unserem Land noch die Todesstrafe usw. Ein ganz neuer Blick auf die Hauptstadt Wien tut sich da auf.


zuletzt bearbeitet 06.09.2020 12:33 | nach oben springen

#3

RE: 1808 - Die schönste Mörderin von Wien

in Greeleys Ripperstreet 08.09.2020 19:49
von muglsabine2016 • 288 Beiträge | 1583 Punkte

Eine spannende Geschichte, die mit all den früheren Bezeichnungen und Untersuchungen uns ins 19. Jahrhundert mitnimmt. Interessant auch der Ablauf der Ermittlungen. Vielen Dank für den Ausflug in die Vergangenheit.


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#4

RE: 1808 - Die schönste Mörderin von Wien

in Greeleys Ripperstreet 13.09.2020 21:11
von A. C. Greeley • 186 Beiträge | 915 Punkte

Hallo, Sabine,
Ja, ich finde es jedesmal erneut faszinierend, zu erfahren, wie man früher bei derartigen Morden gearbeitet hat und wie anstrengend es tatsächlich damals war, zu ermitteln, oder alleine schon das Opfer 'danach' zu finden, geschweige denn, zu autopsieren.


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